Einführung in das Thema: Von der Vereinnahmung kultureller Trends zur Verschiebung gesellschaftspolitischer Diskurse

Die Vereinnahmung kultureller Trends durch Rechte ist ein wachsendes, wenngleich kein neues Phänomen. In den letzten Wochen gab es beispielsweise zahlreiche Veranstaltungen bei denen das Lied „L’Amour toujours“ von Gigi D’Agostino mit rassistischen Parolen gesungen wurde. Das Lied wurde bereits im Spätherbst 2023 vereinnahmt und wird seither von rechtsextremen Akteur*innen genutzt, die rechtsextreme Videos mit diesem Lied hinterlegen und im Internet veröffentlichen.  Seither gilt es auch ohne rassistischen Gesang als Symbol der rechtsextremen Szene, als sog. „Dogwhistle“ (zu Deutsch: Hundepfeife). Für die eigene Zielgruppe, für Expert*innen und Betroffene sind solche Symbole bekannt, nach außen hin sind sie jedoch abstreitbar.

Es gab anderweitige Vorfälle der Vereinnahmung kultureller Trends und Ereignisse, wie beispielsweise bei der Fußball-EM in Deutschland, als Banner der Identitären Bewegung (eine Gruppierung der Neuen Rechten) mit der Aufschrift „Defend europe“ im Stadion hochgehalten wurde oder im gleichen Spiel der sog. Wolfsgruß der türkischen rechtsextremen Ülkücü-Bewegung gezeigt wurde. Letzteres war auch außerhalb der Stadien präsent. In vielen deutschen Großstädten wurde der Wolfsgruß – einem zuvor vielen Menschen unbekanntes Handzeichen – von Fans auf der Straße gezeigt. Der Fußball wurde insofern genutzt, um dieses Symbol zu normalisieren und gar neue Anhänger*innen zu rekrutieren.

Aber auch im Internet befinden sich viele Influencer*innen, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten. Nicht immer ist dieses sofort erkennbar. Sie nutzen geläufige Hashtags, um viele User*innen zu erreichen und oftmals sieht man erst auf dem zweiten Blick, dass rechtsextreme Ideologie verbreitet wird. So wurde beispielsweise eine (auf den ersten Blick unscheinbare) rechte Influencerin vorgestellt, die auf einem Bild Kleidung mit dem Aufdruck „solide“, „arisch“ und auch dem Deutschen Reichsadler, wie er zur Zeit des Nationalsozialismus genutzt wurde, trägt.

Bei der Vereinnahmung kultureller Trends handelt es sich um eine Strategie der Neuen Rechte, die ihr Ziel, die „kulturelle Hegemonie“, öffentlich propagiert. Damit verbunden ist der Aufruf, in den vorpolitischen Raum zu gehen und rechtsextremes Gedankengut niedrigschwellig zu verbreiten. Bereits 2018 stellte Björn Höcke fest, dass der Zeitgeist nicht in den „Parlamenten und Verwaltungsapparaten“ geprägt werde und rief dazu auf, in „Schützenvereine, Jagdgenossenschaften, Kirmesgesellschaften“ einzutreten und dort zu agieren.

So kann die rechtextremorientierte Szene an Aufmerksamkeit gewinnen und inzwischen auch politische Debatten vereinnahmen, indem diese neu eingeordnet werden, emotionalisiert werden und teils legitime Kritik instrumentalisiert genutzt wird.
Durch Mainstreaming werden dabei bestimmte Begriffe und Narrative zu unterschiedlichen politischen Themen immer wiederholt und damit sagbar gemacht. Das Ziel ist, die gesellschaftspolitischen Diskurse zu verändern und radikale Standpunkte in die Mitte der Gesellschaft zu verschieben.

Dies scheint besonders erfolgreich im Internet zu gelingen. Nach einer Studie von „HateAid“ („Lauter Hass, leiser Rückzug, 2024) geben 89 % der Menschen an, Hasskommentare im Internet gesehen zu haben. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sich seltener an politischen Diskursen im Internet zu beteiligen. Freiraum für agierende rechtsextreme Akteur*innen.

Unerwünschtes Verhalten werden wir nicht los indem wir es ignorieren! Um sich geeignete Strategien zu überlegen, sollte jedoch auch der strafrechtliche Rahmen nicht unerwähnt bleiben.

 

Hasskriminalität im Internet

 

Die wesentlichen Gefahren durch Hasskriminalität im Internet sind zum einen das „Silencing“, also das digitale Verstummen bei dem sich Menschen als Reaktion auf Hass und Hetz seltener an Diskussionen im Netz beteiligen und zu anderen die Radikalisierung, wenn Worte zu Taten werden. Der Begriff „Hasskriminalität“ ist dabei nicht abschließend bestimmt. Vielmehr können mehrere Straftatbestände darunter gefasst werden, wie beispielsweise § 86a StGB „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“, der eine Tabuisierungsfunktion hat und verhindern soll, dass verfassungswidrige Organisationen erneut erstarken. Dabei wird ausdrücklich erwähnt, dass auch zum „verwechseln ähnliche“ Symbole verboten sind.

Mit Blick auf die Studie „Hassrede – ein Alltagsbegleiter im Netz!“ (Landesanstalt für Medien NRW, 2021) wurden die ersten Strategien gegen Hasskriminalität im Internet genannt. Neben den Möglichkeiten, sich mit den Kommentaren näher zu befassen, sie zu kritisieren oder beim Portalbetreiber zu melden, werden nur 1 % der Kommentare angezeigt.

Um die Anzeigebereitschaft zu erhöhen und Hemmschwellen abzubauen hat die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet Niedersachsen bei der Staatsanwaltschaft Göttingen eine Meldeplattform (hassanzeigen.de) eingerichtet, die die Anzeigenerstattung auch online und anonym ermöglicht. In 50 % der Verfahren können ein*e Täter*in ermittelt und Anklage erhoben werden. Viele Verdächtige zeigen sich überrascht, wenn durch solche Hasskriminalität im Internet Hausdurchsuchungen durchgeführt werden. Ein Irritationsmoment, der auch zur Selbstreflexion führen kann, wie es später in der Podiumsdiskussion genannt wird.

 

Podiumsdiskussion

 

Im Rahmen der Podiumsdiskussion haben Akteur*innen aus verschiedenen Blickpunkten und Professionen teilgenommen. Dabei stand vor allem eine praxisorientierte Diskussion im Vordergrund. Folgende Personen haben teilgenommen:

Liam Harrold, Ratsherr im Stadtrat Hannover für Bündnis 90 / Die Grünen
Dr. Matthäus Fink, Staatsanwaltschaft Göttingen
Kristin Harney, Mobile Beratung gegen Rechts Niedersachsen
Michael Berg, Stiftung Opferhilfe Niedersachsen
David, AussteigerhilfeRechts Niedersachsen

Im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass rechtes Mainstreaming funktioniert und rechtsextreme Positionen immer präsenter und vermeintlich normaler werden. Konkrete Anlässe wurden unter anderem aus dem Schulkontext genannt. Widersprüchlich erschien dabei, dass im Schulkontext Verhalten sanktioniert wird, was außerhalb der Schule straffrei bleibt.

Mit Blick auf die eingestellten Verfahren zu den rassistischen Parolen im Lied L’Amours toujours wurde deutlich, dass die Rechtsprechung einzelfallabhängig ist und dadurch auch für betroffene rechter Gewalt verunsichernd wirken kann. Auf dem Podium und auch von einer Zuschauerin wurden sich eine höhere Verurteilungsrate gewünscht. Man soll weniger Verfahren einstellen oder per Strafbefehl aburteilen.

„Das Strafrecht ist die ultima ratio!“

Das Engagement der Zentralstelle für Hasskriminalität im Internet Niedersachsen wurde mehr als deutlich. Rechtsextremismus beginnt jedoch vor der Strafbarkeit und so wurde auch in der Diskussion deutlich, dass es Aufgabe demokratischer Politik ist, bürgerschaftliches Engagement zu stärken und Forschung und Wissenschaft in diesem Feld zu bestärken. Extremismusprävention wurde als gesamtgesellschaftliches Thema dargestellt.

„Antifaschistisches Engagement gehört nicht in die extremistische Ecke.“

Projekte, wie die Mobile Beratung gegen rechts, zivilgesellschaftliche Ausstiegsprogramme und die Betroffenenberatung werden aus Geldern von „Demokratie leben!“ gefördert, wo zuletzt auch über eine Extremismusklausel (resp. Demokratieerklärung) debattiert wurde. Diese Fördermittel wurden als besonders erhaltungswürdig betrachtet.

Bürgerliches Engagement sei anstrengend und das eigene Leben manchmal so komplex und schlichtweg herausfordernd, dass sich viele nicht in der Lage sähen, gegen rechtsextreme Entwicklungen in der Gesellschaft auf die Straße zu gehen. Zudem war man sich einig, muss erst ein Problembewusstsein geschaffen werden. Dafür bedarf es unter anderem Aufklärung über Codes, Symbole und Strategien hinter der Vereinnahmung kultureller Trends.

„Jeder kann im Kleinen Haltung zeigen.“

Die Staatsanwaltschaft Göttingen sieht indes ein enormes zivilgesellschaftliches Engagement im digitalen Raum, wo viele Meldestellen, wie „HateAid“ oder „REspekt“ eingerichtet worden sind. Dieses Engagement gilt es, auf demokratische Kurse im Netz zu erweitern. Jedes Like, jeder Kommentar und jede Antwort aus der demokratischen Mitte seien relevant, um Betroffene zu stärken und zu signalisieren, dass es eine demokratische Mitte gibt.
Aber auch im realweltlichen Kontext ist es wichtig, Haltung zu zeigen. Als Veranstalter, solle man bei rechtsextremen Vorfällen selbstständig zügig eingreifen und sanktionieren. Hier lohnt sich mit Sicherheit auch ein Blick auf die eigene Hausordnung, bei deren Überarbeitung auch die Mobile Beratung gegen Rechts unterstützt.

„Die Bearbeitung tatsächlicher Probleme“

Es wurde erwähnt, dass rechtsextreme Parteien an den Orten stark ist, wo die Infrastruktur schlecht ist. Darunter leide die Selbstwirksamkeit der Menschen und die Politik solle daher wieder explizit das Fürsorgeversprechen des Sozialstaates einhalten. Darauf kann auch Kommunalpolitik mit zielführender Jugendarbeit hinwirken und kann nicht alles auf die Bundespolitik abwälzen.
Auf der Mikroebene wurden indes Methoden und Strategien aus der Ausstiegsarbeit genannt, um Irritationsmomente zu setzen, Widersprüche aufzudecken und zur Selbstreflexion anzuregen. Hinter rechtsextremen Einstellungen stecken oftmals andere Probleme und Bedürfnisse, die es herauszuarbeiten gelte. Dies gelinge insbesondere, wenn eine Beziehung zu dem Gesprächspartner vorhanden ist, weil man dann andere Zugänge als zu Fremden nutzen kann.

„Die Opferhilfe ist da und unterstützt bei Bedarf“

In der gesamten Debatte sollte man nicht die Bedürfnisse der Betroffenen aus den Augen verlieren. Unabhängig davon, ob ein Straftatbestand letztlich erfüllt ist, unterstützt die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen bei der Aufarbeitung extremistischer Vorfälle. Dies kann durch entlastende Gespräche oder durch Vermittlung an geeignete Stellen geschehen.

 

Mini-Barcamps

 

Nach der Podiumsdiskussion hatten alle Gäste noch die Möglichkeit, im Rahmen von Mini-Barcamps mit den Podiumsteilnehmenden in Kontakt zu treten, Rückfragen zu stellen und Impulse zu geben.

An mehreren Barcamps konnte beobachtet werden, dass die aktuelle Entwicklung rund um rechtsextreme Vereinnahmung kultureller Ereignisse und die Verbreitung menschenfeindlicher Ideologie den Menschen Sorgen bereitet. Bei der steigenden Personenzahl, die dieses Gedankengut nicht verurteilt oder anderweitig sanktioniert, gibt es bald keinen Ort mehr, zu dem Aussteiger*innen aus rechtsextremorientierten Szenen aussteigen können, hält man am Flip-Chart des Ausstiegsprogramms fest.

Gewünscht werden sich mehr Aufklärung über Ideologie und Strategien rechtsextremer Akteur*innen. Gleichwohl erkennt man an, dass in der Gesellschaft ein Drang zum Annehmen vereinfachter Lebenskomplexität und Erklärungsmuster vorhanden ist, welchem widerstanden werden muss. Hierfür wünschen sich die Gäste von der Politik eine Stärkung und Befähigung bürgerlichen Engagements und mehr Selbstkritik von Politiker*innen.

„Wir müssen mehr reden“

Das war eine Kernaussage in mehreren Barcamps. Wenn Verhalten eines Gegenübers nicht mit eigenen Werten und Normen vereinbar ist, aber keinen Straftatbestand erfüllt ist, muss man sich über die eigenen Werte und auch der Rolle, in der man derzeitig agiert, im Klaren sein. Um das zu erreichen wurde der Wunsch geäußert, vermehrt über Grundwerte in den Austausch zu gehen. Innerhalb eines Systems (wie der eigenen Institution) und außerhalb im Umgang mit Kund*innen, Klient*innen und Geschäftspartner*innen. Dies wurde als unabdingbare Voraussetzung für das Finden der individuellen Strategie auf rechtsextremes Verhalten festgehalten.

Bei Rückfragen zur Veranstaltung steht das Team der AussteigerhilfeRechts zur Verfügung.