Nachtrag zu den Schattenkonzerten am 10. und 11. Januar 2025 in Hannover
Aussteiger auf der Bühne? Das Thema wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Das ‚Orchester im Treppenhaus‘ hat mit den Schattenkonzerten jedoch einen Rahmen geschaffen, mit dem Zuschauer*innen anhand anonymer Biographien zweier Aussteiger aus erster Hand erfahren können, dass sich Menschen ändern und eine zweite Chance verdient haben können. In drei Vorstellungen an zwei Tagen in der ‚Rampe‘ in Hannover hat das Orchester veranschaulicht, was es bedeutet die rechtsextreme Szene zu verlassen und eine menschenverachtende Ideologie abzulegen. Mit ihren Schicksälen, Erfahrungen, bewussten Entscheidungen und Herausforderungen haben die (hinter einer Schattenwand stehenden) Aussteiger das Publikum mitgenommen auf eine Reise von ihrer Kindheit, über den Weg in die Szene, den dortigen Geschehnissen bis hin zum Ausstieg. Dabei wurden ihre Gefühlslagen und Emotionen vom Orchester musikalisch begleitet. Hass, Gewalt, Trauer, Zweifel, Macht und Ohnmacht wurden ganz anders spürbar als in einem einfachen Gespräch.
Der Einstieg in die Szene geht schnell und war einfach, berichtet einer der Aussteiger, „Aussteigen braucht viel länger und ist schwer“. Und trotzdem haben sie nach ihrem Ausstieg unerwartete positive Erfahrungen gemacht, Menschen anders kennengelernt, sich erlaubt Bücher zu lesen und Musik zu hören, die vorher in der Szene verboten waren. Die Ideologie ist in sich zusammengebrochen. Vielleicht sind sogar neue Opfer verhindert worden.
Die aktuellen politischen Entwicklungen betrachten die Aussteiger mit Sorge und verwiesen unter anderem auf die Ergebnisse der letzten Europawahl. Sie benennen Rassismus und Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft, was sich seit ihrer Zeit in der Szene keinesfalls verändert habe. Man hörte einen Appell daraus heraus, dass die demokratischen Errungenschaften von allen verteidigt werden müssen.
Im Laufe des Konzertes haben die Protagonisten das Publikum durch ihr Leben mitgenommen und es ihre Gefühle und Motive vielleicht nicht verstehen, aber mindestens begleiten lassen. Das Orchester endete jedoch nicht mit Applaus oder gar Standing Ovations, sondern mit einer namentlichen Nennung von mindestens 220 Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung 1990. #Saytheirnames. In diesem Moment des Erinnerns und der wechselseitigen Gefühle verließ das Orchester den Raum und ließ jede einzelne Zuschauerin / jeden einzelnen Zuschauer mit den eigenen ganz persönlichen und individuellen Gedanken und Gefühlen zurück.
Fotos: AussteigerhilfeRechts und Moritz Küstner